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NASAN TUR / Jahresausstellung Kunstverein Göppingen

Ort
Halle oben
Zeitraum
09.07.2017 - 03.09.2017

Der Kunstverein Göppingen schätzt sich überaus glücklich den renommierten Konzeptkünstler und diesjährigen Documenta Teilnehmer Nasan Tur für die Jahresausstellung in der Kunsthalle gewonnen zu haben. Das Werk des in Berlin lebenden Künstlers beschäftigt sich mit den Voraussetzungen und den Folgen des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Politik stellt für ihn kein Abstraktum dar, sondern zeichnet das Menschsein und das Leben in einer zivilisierten Gesellschaft aus. „Warum sind wir so, wie wir sind?“, ist dabei eine zentrale Frage seiner Kunst. Tur nimmt die Ängste und die Hybris der Menschen wahr. Diese Stimmungen manifestieren sich im urbanen Verhalten bis hin zur Politik. Menschen bringen sich in die Gesellschaft ein, begeistern sich für eine Sache, wollen gewinnen, unterstützen Kriege oder setzen sich für den Frieden ein. Seine Kunst zeigt den Menschen in seinem Streben, seinem Scheitern und in vermeintlichen Glücksmomenten. Er zeigt den Menschen in all seiner Verletzlichkeit.

Die Ausstellung in der Kunsthalle fordert und involviert gezielt die Betrachter. Das Konzept der Kunsthalle ist seit jeher auf Teilhabe der Betrachter ausgerichtet. Die Ausstellung des Kunstvereins mit Nasan Tur ist eine ganz besondere und einzigartige Plattform der künstlerischen Partizipation und der Aufforderung nach gesellschaftlicher Identifizierung. Partizipation bedeutet in dieser Ausstellung am künstlerischen Dialog teilzunehmen und die Kunst weiterzudenken. Die Frage nach der Identifizierung fordert den Standpunkt der Betrachter im Spiegel der Flut von katastrophalen Nachrichten. Turs Kunst führt vor Augen wie die mediale Welt die Wahrnehmung eines jeden bestimmt und wie verheerend dabei der individuelle Verlust jeglichen Mitgefühls ist.

Die Videoinstallation FIRST SHOT von 2014 bindet den Betrachter in die Zwiespältigkeit einer Handlung ein. Gezeigt werden Menschen, die das erste Mal mit einer Waffe schießen. Dies bedeutet für sie das erste Mal diese Grenze der Unschuld zu überschreiten. Wo liegt diese Grenze und wie schnell können gesellschaftliche Bedingungen eine solche Grenze verschieben? Wie schnell wird der Griff zu einer Waffe zum Alltag, wie in derzeit vielen Krisengebieten? Jede Mimik und jede Geste der Debütanten wird in Zeitlupe gezeigt und hebt sich vor dem schwarzen Hintergrund einer Schießanlage einprägend ab. Die Ambivalenz von Neugier und der Möglichkeit zur Macht zeichnet sich in jeder Person ab. Es sind hoch ästhetische Porträtaufnahmen, die den Betrachter bannen. Der laute Knall aus der Pistole lässt den arglosen Kunstgenießer zum Augenzeugen werden. Die Tat ist harmlos, um nicht zu sagen nicht vorhanden, zeigt aber das kollektive Spektrum zwischen Angst und Euphorie im Menschen und der verborgenen Bereitschaft zur Gewalt in jedem.

Fünfzig Aquarelle NUMBERS säumen wie ein Fries die Wände der Kunsthalle. Man muss nahe herantreten und in Ruhe betrachten, um den weiteren Gehalt der einzelnen Ziffern zu entschlüsseln. Datum und Ort verbinden die kleinformatigen Arbeiten mit schrecklichen Ereignissen, deren Zahl die Todesfälle benennt. Entgegen dem schnellen täglichen Medienkonsum fordern diese kleinen Arbeiten, wie ein Memento Mori, Gedenken und Verharren für die Toten ein. Nasan Tur sieht sich selbst nicht selten ohnmächtig dem täglichen Geschehen gegenüber, durch die Kunst ergreift er die Möglichkeit den Betrachter mit in das Vertrauen zu ziehen und auf die gesamtgesellschaftliche Verantwortung zu verweisen.